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Translator/Übersetzt von: sz-lang.com
Link zum Original-Artikel (englisch): https://datawanderings.com/2020/07/09/building-diverse-tech-teams/
Man könnte viel mehr tun, um Tech-Teams in den USA sowie in Europa diverser zu gestalten. In den vergangenen Wochen habe ich mir einiges an Gedanken über pragmatische Vorgehensweisen gemacht, mit denen wir gesunde, diverse Organisationen aufbauen können. Über Ideen, die auf Empathie und einem besseren Verständnis anderer Menschen basieren, nicht auf der Erfüllung von irgendwelchen politischen Quoten. Über dauerhafte Initiativen, die Menschen zusammenbringen können. Ich bin fest davon überzeugt, dass unsere Unternehmensrealität all dies erreichen kann. Allerdings erfordert eine solche Verwirklichung sachbezogenen Fokus und Aufmerksamkeit, sowie — vielleicht noch wichtiger — die grundlegende Überzeugung, dass man damit das Richtige tut.
Die Kernbereiche, die verbessert werden müssen, sind unter anderem die Beschaffung von KandidatInnen, Einstellungspraktiken, sowie Bindung und Förderung von minderheitsangehörigem und weiblichem Personal.
Kriegen wir Diversität auch ohne Photoshop hin? Quelle: Buzzfeed
Dem Stand der Dinge nach sind IT-Arbeitskräfte vorwiegend männlich, weiß, und heterosexuell. Frauen machen etwa 25 Prozent von IT-Teams aus, und berichten oft von dem Gefühl, bei der Arbeit festzustecken, und dass ihnen sehr wenig an kreativen Rollen oder Führungsmöglichkeiten auf höchster Stufe angeboten wird. Zudem wird berichtet, dass Angehörige von schwarzen, asiatischen oder anderen ethnischen Minderheiten zwar 40 Prozent der Bevölkerung von London ausmacht, aber niemand davon auf der ersten Führungsebene von bedeutenden Tech-Unternehmen mitwirkt. Dabei wäre die Schwundquote bei diesen Gruppen höher als bei ihren weißen Gegenübern: laut Googles Bericht von 2019 über die eigenen Arbeitskräfte geben schwarze Männer mit Tech-Jobs zu 36 Prozent eher ihre Stellen auf als Googles durchschnittliche Arbeitskräfte. Über die Schwundrate von Frauen werden im NCWIT-Bericht über Frauen in der Tech-Industrie ähnliche Ergebnisse angegeben.
Bei dieser Unterrepräsentierung handelt es sich nicht um ein Problem in den „Einstellungskanälen“, und es wäre auch nicht gerecht, sie als ein solches abzutun. Daten des American Community Survey besagen, dass von jungen Personen mit Bachelorabschluss oder höher in Informatik- oder Technikstudien 57 Prozent weiß, 26 Prozent asiatisch, 8 Prozent hispanisch und 6 Prozent schwarz wären, die tatsächlichen Einstellungsstatistiken diese Zahlen allerdings nicht reflektieren würden. Die Arbeitgeberschaft würde weiße und asiatisch-amerikanische Männer anderen Gruppen vorziehen. Der Artikel Why women in tech are being Photoshopped in instead of hired (Warum Frauen in der Tech-Industrie mit Photoshop eingefügt und nicht eingestellt werden) von Vox Recode sammelt einige aufschlussreiche Analysen über das Thema, einschließlich des folgenden (hier sinngemäßen) Zitats von Deborah Singer, der Marketingchefin bei Girls Who Code:
„Es heißt immer, das wäre ein Problem im Einstellungskanal, dabei ist es für jede Person, die auch nur ein bisschen aufpasst, ganz klar, dass das einfach nicht wahr ist […] Bei Girls Who Code gibt es 30.000 Ehemalige mit Abschluss im Collegealter. Mindestens 30 Prozent der Informatikstudierenden bei Stanford sind Frauen, aber probiert doch mal, ein Tech-Unternehmen zu finden, wo die technischen Rollen zu 30 Prozent von Frauen eingenommen sind.“
Der Mangel an Diversität in der Tech-Industrie ist ein systemisches sowie kulturelles Problem. Mein Vorschlag wäre, dass wir es so angehen, als wäre es irgendein anderes x-beliebiges Geschäftsziel.
Wenn sich vorwiegend Personen, die männlich und weiß sind, für ein Team melden, gibt es ein paar Sachen, die man ausprobieren kann, um den Status Quo zu ändern:
Es ist unabdingbar, dass man die verwendete Einstellungssoftware und die Art, auf die man potenzielle KandidatInnen beschafft, neu durchdenkt.
Um mit den zahlreichen Stellenausschreibungen klarzukommen, und es zu erleichtern, KandidatInnen mit der richtigen potenziellen Arbeitgeberschaft zusammenzubringen, verlassen sich Linkedin, Monster, Indeed, und andere dominante Jobbörsen stark auf Algorithmen. Diese wiederum bestimmen, welche Zielgruppe eine Ausschreibung zu sehen bekommt, und alles beruht auf unveröffentlichter Logik. Im Jahr 2018 schaltete Amazon das betriebseigene Personalbeschaffungsinstrument ab, nachdem Diskriminierung gegen weibliche Kandidatinnen zu einem hohen Grad darin festgestellt wurde. Laut einem Bericht von Reuters würde die Technologie KandidatInnen bevorzugen, die sich selbst mit Tätigkeitsworten beschreiben, die vermehrt auf den Lebensläufen von männlichen Technikern zu find sind, wie etwa >>executed<< und >>captured<<. Zusätzlich zu dem belegten Männer-Bias nannten einige TechnikerInnen die systemseitigen Empfehlungen „zufällig“. Amazons Verfahren mit diesem System bietet einen seltenen Einblick in die mit der automatischen Personalbeschaffung verbundenen Hindernisse. Weder Linkedin noch eine andere marktführende Jobbörse hat über die Logik bei der Bewertung von KandidatInnen Transparenz gezeigt. Die Giganten des Silicon Valley schwören, dass sie nicht diskriminieren, allerdings stellt Cathy O’Neill, Datenwissenschaftsberaterin und Autorin von Angriff der Algorithmen, stellt diesen Standpunkt in ihrem Interview mit Business Insider in Frage. Sie sagt, man sollte LinkedIn dazu verpflichten, zu beweisen, dass das, was sie tun, die Ungleichheiten nicht noch schlimmer machen. Sie weist auch darauf hin, dass es fast unmöglich ist, Proxy-Variablen abzuschaffen, die zusammengekoppelt oder unabhängig persönliche Gegebenheiten von KandidatInnen preisgeben könnten, auch wenn man Rasse oder Geschlecht bei dem Datenzuführungsprozess eines Algorithmus ausschließt.
Etwas anderes, was einen deutlichen Einfluss auf die Einstellungskanäle auswirkt, sind die Systeme zur Nachverfolgung von BewerberInnen (ATS, Applicant Tracking System). Ein Bericht von Capterra besagt, dass 75% der in der Personalbeschaffung und im Talentmanagement tätigen Personen irgendeine Art von ATS oder Personalbeschaffungssoftware gebrauchen. Die Technologien würde man verwenden, um KandidatInnen von unternehmensinternen sowie externen Datenbanken (Jobbörsen, gesammelte Daten von vermittlungstätigen Personen) zu beschaffen, BewerberInnen entsprechend der Jobkriterien zu filtern, und ihren Fortschritt während des gesamten Einstellungsprozesses nachzuverfolgen. James Hu, der Geschäftsführer von Jobscan, macht bei einem Gespräch mit The Register auf verschiedene Unzulänglichkeiten von ATS aufmerksam: restriktive Filter (bei einer Suche nach dem Wort „Analytik“ wird das Wort „Analyse” nicht als Ergebnis wiedergegeben), hartcodierte Suchwerte, Probleme beim Parsen verschiedener Dateiformate, Dokumentformatierung und Sonderzeichen.
Sich derartiger Probleme bewusst zu sein ist ein guter Startpunkt, um unausgeglichene Einstellungskanäle für KandidatInnen in Ordnung zu bringen. Hier einige praktische Verfahrensweisen, um die Blackbox-Hegemonie zu bekämpfen:
Es ist ja KEIN Problem mit den Einstellungskanälen! Es sind die Leute in der Personalbeschaffung, die sich nicht mit den wichtigsten Organisationen auskennen, und nicht mit ausreichend Sorgfalt recherchieren oder sich einfach nicht die Mühe machen, zu lernen.
Ihr wollt schwarze TechnikerInnen? Dann schaut nicht immer bei MIT und geht mal zu North Carolina A&T. Manche Leute sind zu faul und zu bequem und es passt ihnen so.
— sinngemäßes Twitter-Zitat von Bärí A. Williams (@BariAWilliams) June 14, 2019
Die Wortwahl bei einem Stellenangebot kann durchaus den Unterschied ausmachen. Es gibt überzeugende Beweise, die darauf hinweisen, dass geschlechtsspezifische Sprache in Stellenanzeigen geläufig ist und zu Geschlechterungleichheit führen kann. Worte, die mit Weiblichkeit verbunden werden, wären u.a. „Unterstützung“, „Verständnis“, „zwischenpersönlich“, während die männliche Domäne auf „Anführer“, „konkurrenzfähig“, und „dominant“ setze. Die Anwendung von geschlechtsneutraler Sprache könne den Talentpool erweitern: vorliegende Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass Frauen eine Stelle weniger reizvoll finden, wenn diese nach eigenem Ermessen von Männern beherrscht wird, und umgekehrt. Seltsamerweise handele es sich bei dem entscheidenden Faktor nicht um die wahrgenommenen Kompetenzen, sondern um das vermeintliche Zugehörigkeitsgefühl.
Inklusive Sprache bedeutet nicht, dass man der Stellenbeschreibung einfach ein Diversitätsstatement beifügt. Stellt man das eigene Unternehmen lediglich als Arbeitsplatz mit gleichen Beschäftigungschancen dar, richtet dies kaum etwas aus, wenn es um Diversität bei Organisationen geht — stattdessen kann so etwas schnell ins Auge gehen. Eine Studie, die 2013 im Journal of Personality and Social Psychology veröffentlicht wurde, berichtet, dass Diversitätsstatements dazu beitragen könnten, eine illusion of fairness (Illusion der Fairness) zu schaffen. Eine solche käme zustande, wenn Mitglieder von Gruppen mit hohem Status glauben, dass lediglich die Existenz von Diversitätsprogrammen eine Organisation schon fairer für Mitglieder von unterrepräsentierten Gruppen macht, trotz sichtlichen Belegen, dass Gruppen mit niedrigem Status auf unfaire Weise benachteiligt werden. Dies stimme mit einem sogenannten licensing bias (etwa „moralische Lizenzierung“) überein, wovon auch berichtet wird: hierbei handelt es sich um ein Paradoxon, bei dem eines Individuum positive Entscheidungen trifft (z.B. antirassistische Erklärungen), und sich dadurch berechtigt fühlt, in Zukunft eher selbstbezogenen Entscheidungen zu treffen, mit der Begründung, dass das es aufgrund der positiven Entscheidung nun eine Art Freibrief hat, der in Einklang mit dem Selbstbild beweise, dass die künftigen Entscheidungen in Ordnung wären.
Im Magazin Harvard Business Review wird auf eine andere unbeabsichtigte Konsequenz von diversitätsfördernden Statements hingedeutet: BewerberInnen werden zur Unachtsamkeit ermutigt, um mehr Rasseninformationen preiszugeben. Die Entfernung jeglicher rassenbezogenen Informationen aus dem Lebenslauf (hier sinngemäß auch „bleichen“ genannt) sei eine typische Methode, die Minderheitsgruppen anwenden — ein äußerst betrübliches Erzeugnis unserer Zeit. Die Studie des HBR kommt zu dem Schluss, dass die Diskriminierung gegen „ungebleichte“ Lebensläufe bei angeblich diversitätsfördernden Arbeitsplätzen nicht geringer wäre als bei Arbeitsplätzen, die Diversität in ihren Stellenausschreibungen überhaupt nicht erwähnt hatten. Diversitätsstatements würden ohne feste Unterstützung der Unternehmenskultur dazu führen, dass sich BewerberInnen falsche Hoffnungen machen.
Zudem wissen wir durch die interne Studie bei Hewlett-Packard, die bekanntermaßen in Lean In von Sheryl Sandberg zitiert wird, dass Männer dazu tendieren, ihre Fähigkeiten zu überbewerten, währen Frauen ihre Fähigkeiten mehr unter die Lupe nehmen würden. Der Bericht ergab bekanntlich, dass bei HP arbeitende Frauen nur dann eine Beförderung in Anspruch nehmen wollten, wenn sie glaubten, sie würden die Berufsqualifizierungen auch hundertprozentig erfüllen. Männer, wiederum, hätten dabei keine Probleme, sich zu bewerben, auch wenn sie meinten, sie könnten nur 60 Prozent der Berufsqualifizierungen erfüllen. Zwei Personen mit den gleichen merklichen Fähigkeiten hätten demnach eine unterschiedliche vermeintliche Erfahrung bei demselben Stellenangebot.
Wie man einen solchen Sachverhalt korrigiert?
Von flexibler Arbeit können alle profitieren. Man bedenke: wenn sich das Hauptquartier eines Unternehmens im Zentrum von London befindet, wer bewirbt sich dann am ehesten? Diejenigen, die es sich leisten können, in angemessener Entfernung zum Büro zu wohnen, oder die nichts dagegen haben, stundenlang zur Arbeit zu pendeln. Somit schreckt man eventuell BewerberInnen ab (wenn auch ungewollt), die sich denselben finanziellen oder zeitlichen Aufwand nicht leisten können. Da Frauen dazu neigen, mehr Verantwortung bei der Kindererziehung zu übernehmen, können sie sich einen langen Arbeitsweg nicht leisten. Minderheitengruppen sind oftmals aus ärmeren Verhältnissen, was einen Umzug ins Zentrum von London eventuell ausschließen würde. Ändert sich jedoch die Arbeitspolitik und wird fernarbeiterfreundlich, öffnet dies die Tür zu einem Talentpool, die nicht von Geografie und somit auch nicht von sozioökonomischen Zugangsbarrieren beschränkt ist. Zudem kann ein Modell mit fernarbeitendem Personal Menschen mit körperlichen Behinderungen oder psychischen Gesundheitsproblemen, die anderweitig hochbegabt sind, mit integrieren.
Telstra, ein australisches Telefonunternehmen, ist für seine flexible Arbeitspolitik und Verpflichtung (sofern nicht anderweitig nachgewiesen) zu „Flex“-Jobs bekannt. Mit dieser Politik ist die Anzahl weiblicher Bewerberinnen beträchtlich angestiegen, und etwa ein Drittel aller BewerberInnen nannte die Flex-Politik als ausschlaggebenden Faktor.
Claudia Goldin, Wirtschaftsprofessorin und die allererste Frau mit Festanstellung in Harvards Wirtschaftsinstitut, hebt die Flexibilität bei der Arbeit als entscheidenden Schritt hervor, um eine Gleichstellung im Arbeitsmarkt zu erreichen. In ihrer Studie Grand Gender Convergence (sinngemäß: „Große Gleichung der Geschlechter“) schreibt sie, dass die Arten, auf die Jobs strukturiert und entlohnt werden um zeitliche Flexibilität zu verbessern, in die Umstellung mit einbezogen werden müssen. Die ungleiche Behandlung von Männern und Frauen in Sachen Gehalt könne erheblich reduziert werden und sogar komplett verschwinden, wenn Unternehmen keinen Anreiz hätten, Personen, die lange und zu bestimmten Stunden arbeiteten, unverhältnismäßig zu belohnen. Frauen, besonders wenn sie Kinder haben, würden zeitliche Flexibilität suchen: Jobs mit flexiblem Zeitplan oder Fernarbeitsmöglichkeiten. Dennoch tendiere der Markt dazu, diese Art von Arbeitsmodell zu sanktionieren. Lange Stunden im Büro seien die Norm, obwohl ein kürzerer Arbeitstag bewiesen effektiver ist und lange Arbeitsstunden die Leistungsfähigkeit angeblich beeinträchtigen würden. Laut Goldin kann die Lohnlücke nur erfolgreich geschlossen werden, wenn die Bezahlungsstrukturen von den Arbeitgeberschaft geändert werden.
Aktionspunkte:
Eine Schlüsselstrategie, mit der Unternehmen die Diversität in ihrer Organisation steigern können, ist, eine Person oder ein Team dafür verantwortlich zu machen, dass ein Anteil aller Neueinstellungen auch aus Minderheitsgruppen kommt. Dies war einer der kritischen Befunde einer Studie aus dem Jahr 2006, Best Practices or Best Guesses? Assessing the Efficacy of Corporate Affirmative Action and Diversity Policies (sinngemäß: „Beste Methoden oder Beste Vermutungen? Eine Beurteilung der Wirksamkeit von gezielten Fördermaßnahmen und Diversitätspolitik bei Unternehmen“. Ich nehme später im Artikel Bezug auf die weiteren Erkenntnisse). Die Zuständigkeit für den Aufbau einer diversen Arbeitnehmerschaft kann an die Personalabteilung, an die Personalbeschaffung oder an Diversitätsbeauftragte übertragen werden. Aber Achtung: Quotenverantwortung ist nicht dasselbe wie die Festsetzung bestimmter Minderheits- oder Geschlechtsquoten.
Wenn man Paritäten ohne einen durchdachten Ablauf erzwingen will, so kann das eine Gegenwirkung auf die betriebliche Gesundheit der Organisation haben. Wird eine minderheitsrepräsentierende Person in eine ansonsten homogene Gruppe eingesetzt, so nennt man dies einen Tokenismus. Tokenismus versteht sich allgemein als eine lediglich oberflächliche Anstrengung, die unternommen wird, um einen Eindruck von Chancengleichheit zu schaffen und Missverhältnisse zu verdecken, statt echte systemische Änderungen zu bewirken. Allerdings können auch die allerbesten Absichten des Einstellungspersonals diesen Effekt haben. Wenn eine einzige schwarze Frau in ein männerdominiertes Team eingesetzt wird, dann wirkt die Gruppenpsychologie gegen alle. In diesem Falle wäre es für die Frau höchstwahrscheinlich sehr schwierig, sich anzupassen, und sie hätte mit sozialer Isolation zu kämpfen. Vielleicht würde sie sogar einige ihrer Eigenschaften (Charakter, Vorstellungen, Aussehen) unterdrücken, um sich anzupassen. Gleichzeitig könnte es im Team so aufgefasst werden, dass der Einstellungsprozess ungerecht abgelaufen ist. Kecia M. Thomas bezeichnet dies in ihrem Buch Diversity Resistance in Organizations (sinngemäß: „Widerstand gegen Diversität in Organisationen“) als Besorgnis über unfaire Behandlung inmitten von diversitätsfördernden Werten. Brian Krzanich, der Geschäftsführer von Intel, bezeichnet diesen Widerstand ganz offen als die Haltung weißer Männer unter Belagerung und weist dabei auf Intels Diversitätsinitiativen hin, die auf eine Gegenreaktion innerhalb des Unternehmens gestoßen wären (sogar Drohungen an die Geschäftsleitung habe es gegeben). Eine weitere Nebenwirkung wird in der MIT Encyclopedia of Cognitive Sciences aufgeführt. Laut dieser entwickeln wir im Wesentlichen anhand der Gruppenzugehörigkeit von anderer Menschen und den damit verbundenen Stereotypen auch unsere Erwartungen über diese Menschen. Stereotypen würden Interpretationen formen, hätten einen Einfluss auf die Art, wie wir uns an Informationen erinnern, und würden auf systemische Art unsere Erwartungen und Schlussfolgerungen leiten — daher wären sie auch meistens von einer sich selbst erhaltenden Natur. Die unglückliche Token-Person würde also anhand ihres Gruppenstereotyps, nicht anhand ihrer individuellen Qualitäten, beurteilt werden.
In dem Buch What works! Wie Verhaltensdesign die Gleichstellung revolutionieren kann der Verhaltensökonomin Iris Bohnet sind einige erfinderische Vorschlägen zu finden, mit denen man die Tücken des Tokenismus umgehen kann. Vor allem zwei Ideen sind mir aufgefallen: der Kritische-Masse-Effekt sowie das Aufschieben von, nicht der Verzicht auf, die Anwendung von Quoten im Einstellungsprozess. Bohnets erste Verfahrensweise ist ein Antidot zu Vorurteilen bei gruppenbezogenen Attributionen. Um unser Gehirn zu überzeugen, keine ungerechten Urteile zu bilden, sollten immer mehrere Repräsentierende einer bestimmten Gruppe in einem Team mitwirken. Somit wäre es möglich, sie als Individuum und nicht stereotypisiert zu betrachten. Bohnet behauptet, eine „kritische Masse“ wäre dann bewerkstelligt, wenn minderheitsstämmige Beteiligte nicht weniger als ein Drittel eines Teams ausmachen. Das heißt, in einem kleinen Beispiel von zwei Teams und zehn Personen ist es besser, ein Team mit fünf Männern und das andere mit drei Männern und zwei Frauen zu bilden, statt einer Frau und vier Männern in beiden Teams. Bohnet empfiehlt, dass man die Art, auf die man bei dem Einstellungsprozess Quoten einsetzt, überdenkt. Die Personalbeschaffung sollte leistungsabhängig ablaufen, meint sie; sobald aussichtsreiche KandidatInnen ausgewählt wurden, könnten Quoten angewendet werden, um Person mit einem im Unternehmen unterrepräsentierten Hintergrund zu begünstigen. Diese Verfahrensweise würde Neueinstellungen schützen sowie die Organisation festigen: die Arbeitskraft würde von der Leistung abhängig eingestellt werden, und nicht abhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit, ihres Geschlechts oder ihrer Staatsbürgerschaft. Zudem könne man jeglichen Vorwurf, dass das Unternehmen politische Korrektheit erzwingen würde, zurückweisen.
Wie man Quoten auf schlaue Art und Weise anwenden kann:
Wir haben alle von Natur aus unsere Vorurteile. Der einzige Weg, Vorurteile zu beseitigen, ist, sämtliche soziale oder visuelle Anhaltspunkte, die zu Vorurteilschlüssen anregen könnten, abzuschaffen.
Das bekannteste Beispiel eines solchen „reduktionistischen“ Einstellungsprozess ist die anonymisierte Einstellung. Das Geschlechterverhältnis bei Orchestern auf der ganzen Welt ist durch Anwendung dieses Verfahrens sehr ausgeglichen. Ich habe zum ersten Mal davon in Malcolm Gladwells Buch Blink! gelesen, einem Buch über das adaptive Unbewusste. Die ursprüngliche Studie wurde von Claudia Goldin und Cecilia Rouse verfasst und im September 2000 vom American Economic Review veröffentlicht. Viele Orchester rund um die Welt hätten ihre Einstellungsverfahren geändert, um gegen Geschlechtervorurteile bei Neueinstellungen vorzugehen, indem sie anonymisierte Probespiele einführten, mit dem Zweck, dass die Identitäten der jeweiligen vorspielenden KandidatInnen nicht angezeigt werden. Dabei würde man typischerweise zwei Elemente verwenden: eine Trennwand, um die Person so abzuschirmen, dass nicht mal eine Silhouette zu sehen ist, sowie einen schalldämmenden Teppich, damit der Trittschall von Männern und Frauen nicht unterschieden werden kann. Die Einführung der anonymisierten Probespiele hatte einen außergewöhnlichen Effekt auf die musikalische Welt. Goldin und Rouse veranschaulichten, dass die Prozentanzahl der Frauen bei den besten Philharmonien von weniger als 10 Prozent im Jahr 1970 auf 35 bis 50 Prozent gestiegen sei, und dies nur ein Jahrzehnt später.
Auch andere Industrien sind darauf aufmerksam geworden. Das Space Telescope Science Institute, das sich um die Zeitaufteilung für NASAs Hubble-Weltraumteleskop kümmert, ist Wegbereiter eines zweifach anonymisierten Überprüfungsverfahrens, das gleiche Bedingungen für Frauen und andere Randgruppen in der Wissenschaft schaffen soll. Eine Studie über Codebeiträge auf Github, auch „Pull Requests“ genannt, hat gezeigt, dass die Beiträge von Frauen eher akzeptiert werden als die von Männern, aber nur dann — Achtung — wenn ihre Identität der Öffentlichkeit nicht bekannt ist. Die AutorInnen beendeten die Studie in der Hoffnung, dass ihre Resultate der Community dabei helfen würde, zu erkennen, dass Vorurteile weit verbreitet sind, dass die Behauptung, Open Source sei eine reine Leistungsgesellschaft, neu überdacht werden sollte, und dass Vorurteile eine praktische Auswirkung auf die Softwareentwicklung haben.
Obwohl es viele Auswahlhilfen gibt, die bei dem Einstellungsprozess angewendet werden können, gibt es deutlicher Widerstand, wenn es um ihre Anwendung geht. Scott Highhouse berichtet in seiner Zusammenfassung Stubborn Reliance on Intuition and Subjectivity in Employee Selection, (sinngemäß: „Starrsinniges Vertrauen auf Intuition und Subjektivität bei der Auswahl von Arbeitskräften“) über das Thema. Menschen würden eher traditionelle, auf Bauchgefühl beruhende Interviews ohne Struktur effektiver finden als irgendwelche Bewertungssysteme, obwohl es überwiegend Beweise dafür gäbe, dass das Gegenteil wahr ist. Zusätzlich würde der vorherrschende Glaube existieren, dass es möglich sei, die Leistungsfähigkeit einer Person in einem Job durch eine Kombination von Intuition und Erfahrung ganz sicher prognostizieren zu können. In einer kollektiven Studie über 85 Jahre Forschung in der Auswahl von Personal wird gezeigt, dass eine derartige, beinah perfekte Präzision nur ein Märchen sei — die besten Verfahren könnten Leistungsfähigkeit und stellenbezogenes Lernen nur mit fünfzigprozentiger Sicherheit prognostizieren. Einige der namhafteren Verfahren, die gut ankommen, sind allgemeine Tests der geistigen Fähigkeiten, Tests mit Arbeitsproben, Tests zu beruflichem Wissen, Probejobs, Peer-Rating und strukturierte Bewerbungsgespräche. Die niedrigsten Indikatoren wären Alter, Grafologie, Interessen, Bildungsjahre, Berufsjahre und Referenzabgleiche.
Es gibt genug schlüssige Beweise, dass leistungsbezogene Einstellungsprozesse in der Tech- Industrie nicht weiter als ein Märchen sind und das Vorurteile weit verbreitet sind. Hier einige Ideen, wie man gegen den Status quo vorgeht. Die Anwendung auch nur eines einzigen dieser Verfahren wird eine Wirkung erzielen. Anonyme Probespiele haben gezeigt, dass lediglich die Verwendung einer Trennwand in der Vorrunde eine deutliche Wirkung erzielen; damit ist es zu fünfzig Prozent wahrscheinlicher, dass Frauen in die Finalrunde kommen.
Genauso wichtig wie auch der Einstellungsprozess ist, Personal zu halten.
Möglicherweise ist eine inklusive Kultur der allerwichtigste Faktor in der Zusammenstellung einer diversen Arbeitnehmerschaft. Organisationen bieten ihre MitarbeiterInnen üblicherweise einiges an Nebenleistungen an, um sie damit an das Unternehmen zu binden. Gängige Beispiel sind Tee und Kaffee umsonst (oder Bier in den männerdominierten Unternehmen des Silicon Valley), Tischfußball- oder Tischtennisspiele, Weinverkostungen, oder auch vom Unternehmen gesponserte Weihnachtsessen. Nebenleistungen sind aber kein Ersatz für Kultur, noch sind sie für Arbeitskräfte, die sich in ihrer Arbeitsumgebung allein fühlen, ermutigend. In ihrem HBR-Artikel erläutert Karen Brown dies anhand folgender Beispiele: ein Moslem betet in seinem Auto, weil er seine Religion nicht zur Schau stellen möchte; eine Mutter stellt keine Bilder von ihren Kindern auf ihren Schreibtisch, damit niemand ihr Arbeitsengagement in Frage stellt; eine homosexueller Manager ist sich unsicher, ob er seinen Partner zu Unternehmensausflügen mitnehmen soll. Weihnachten mit KollegInnen zu feiern oder nach der Arbeit einen trinken zu gehen kann für viele Arbeitskräfte anstrengend sein, auch wenn diese Aktivitäten das Ziel haben, alle zusammenzubringen. Dabei ein Hinweis auf die oftmals weißen, christlich ausgelegten Ideen von Spaß, die diese Initiativen projizieren. Diejenigen, die sich nicht nach einem vorgeschriebenem Bild von Spaß richten, fühlen sich oft entfremdet und neigen dazu, die eigene Identität einzudämmen, aus Angst, sie könnten die Mehrheit verärgern. Wenn Arbeitskräfte muslimischen Glaubens oder diejenigen, die keinen Alkohol trinken, mit auf eine Weinverkostung gehen, dann ist es nicht, weil sie besonders gerne Wasser aus Weingläsern trinken, sondern weil sie es riskieren, sich zu entfremden, wenn sie nicht an der Veranstaltung teilnehmen.
Das hervorstechendste Beispiel, wie feindselig eine homogene Kultur werden kann, ist in Susan Fowlers Bericht über ihr Jahr bei Uber zu finden. Als sie bei dem Unternehmen anfing, bestand die Organisation noch zu 25 Prozent aus Frauen. Innerhalb von zwölf Monaten ging diese Nummer dann auf 3 Prozent herunter. Ubers Unternehmenskultur wurde öffentlich bereits als aggressiv und äußerst schädlich bezeichnet: mit einem Personalmanagement, das hauptsächlich Papiere hin und her schob, waren sexuelle Belästigung, homophobes Verhalten und Beförderungen problematischer Manager, über die sich andere beschwerten, alltägliche Ereignisse.
Inklusivität kann nicht antrainiert werden, sie muss in der Organisationsstruktur verwurzelt werden. Studien zeigen, dass sich Diversitätsschulungen und Mentorenprogramme nicht zur Erhöhung der Diversität innerhalb der Organisation eignen, da sie eher auf die Änderung der Denkweisen individueller Personen fokussiert wären. Praktiken, die anhand von Feedback (Diversitätsbeurteilungen) und Ausbildung (Diversitätsschulung) die Vorurteile des Führungspersonals anvisierten, zeigten im Ganzen so gut wie gar keinen Effekt. Sogenannte verantwortungsetablierende Strukturen seien die einzigen Vorgehensweisen, die Diversität zunehmen lassen und über längere Zeit erhalten würden, Damit sind Pläne für Fördermaßnahmen, Diversitätskomitees und diversitätsbezogenen Arbeitsstellen gemeint. Eine zweckbestimmte Organisationsfunktion könnte sich das Problem ganzheitlich ansehen, Einstellungsprozesse sowie Beförderungsstrukturen überdenken, Lösungen auf verschiedenen Ebenen des Personalmanagements vorschlagen, die Wirksamkeit dieser Lösungen kontrollieren, und — vielleicht am wichtigsten — hätte die Autorität, Entscheidungen zu treffen. Ziele setzen und jemanden dafür verantwortlich machen, dass man diesen Zielen nachgeht. So einfach ist es.
Eine inklusive Unternehmenskultur baut man folgendermaßen auf:
Die Inspiration für diesen Artikel liegt in meinen Arbeitserfahrungen als osteuropäische Frau in der Tech-Industrie. Das „Einstellungskanalargument“ habe ich schon oft gehört, ebenso kenne ich das Beharren auf die Leistungsgesellschaft. Dann habe ich gesehen, wie meine Empfehlungen oder meine eigenen Bewerbungen abgelehnt wurden, nur wegen der Meinung einzelner Personalverantwortlicher. Aufgrund dieser Art von Erfahrung habe ich die Richtigkeit von einigen der weit verbreiteten Einstellungsprozesse in der Informationstechnik in Frage gestellt, da ich ahnte, dass dahinter nur Märchen stecken. Allerdings reicht ein Bauchgefühl, dass unsichtbare Vorurteile bestehen, nicht aus, also habe ich mich selbst informiert und weitergebildet. Dieser Artikel ist das Resultat meiner Arbeit: eine Ansammlung der typischen Hindernisse, die man bei Einstellungsprozessen sieht, sowie passende Vorgehensweisen, um unsere Arbeitsplätze zu verbessern und diverser zu gestalten, Stichpunkte gegen Vorurteile. Ich hoffe, dass diese Recherche nützlich für diejenigen ist, die auch so wie ich fühlen, dass die Arbeitsstrukturen der Tech-Industrie aus dem Gleichgewicht gerutscht sind, und praktische Gegenmaßnahmen finden möchten, um dies zu ändern. Wir können unsere Industrie verbessern, heute schon.
Ich informiere und bilde mich noch immer über dieses Thema weiter, und freue mich über Feedback, wie man dies weiter ausarbeiten könnte.